Brücke zum Anderen

Brücke zum anderen

Wie sich Gespräche mit Ressourcen anreichern lassen.
Ein persönlicher Königsweg.

Mir half es im Leben selten, wenn mich jemand auf meine Schwächen hinwies. Meistens dauerte es lange, bis ich mich wieder fing und neuen Mut fasste. Ressourcenorientierte Ansätze motivieren und stärken mich meinen Weg zu gehen. Auch als Coach und Beraterin interessieren mich die Ressourcen der Menschen, mit denen ich arbeite, und ich besinne mich selbst immer wieder auf meine eigenen Ressourcen.

Mein Credo lautet: Reichere dich selbst und den anderen mit Ressourcen an und bleib nicht bei einer Methode, sondern habe den Mut zu wechseln. Daraus habe ich einen Leitfaden für Coaches und Berater entwickelt. Mein Königsweg zu den Ressourcen, den eigenen und denen der Klienten, umfasst zehn Punkte.

  1. Reichere dich selbst und den anderen mit Ressourcen an.
    Ressourcen sind Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erfahrungen, Einstellungen, Beziehungen, die uns helfen, unser Leben zu gestalten. Wir können den eigenen Ressourcenzustand pflegen, indem wir jeden Abend auf die Haben-Seite unseres Tages schauen und uns fragen: „Was ist mir heute gelungen? Wofür bin ich dankbar?“ Und vor jedem neuen Arbeitstag können wir uns fragen: „Welche Ressource brauche ich, um kraftvoll arbeiten zu können?“ Im Beratungsgespräch liegen wir sozusagen auf der Lauer nach den Ressourcen des Klienten, die es zu stärken gilt. Wir achten darauf, welche er selbst anspricht. Der Aufnahmebogen zu Beginn des Coachingprozesses eignet sich gut, den Klienten nach Hobbys, Talenten und Ressourcen zu fragen und dies später zu nutzen.
  2. Sei zuerst im Kontakt mit dir selbst und erschaffe deinen guten Zustand.
    Nimm dir vor jeder Beratung Zeit zu atmen, zu sehen, zu hören und zu fühlen und bei dir selbst anzukommen. Auch zwischen den Beratungsstunden hilft ein kleines Ritual, um sich in einen guten Zustand für das nächste Gespräch zu bringen. Manchmal empfehle ich die Übung „Kiss and Smile“ als Unterbrecher. Dabei gilt es ein paar Sekunden lang im Wechsel die Lippen zu spitzen und zu lächeln, um sich ein wenig für das nächste Gespräch zu lockern. Einmal erschien ich einige Minuten zu spät im Seminar. Alle saßen erwartungsvoll da und ich kam nach einem Stau auf der Autobahn völlig abgehetzt im Seminarraum an. Mir war klar: In diesem Zustand kann ich nicht beginnen. Also nahm ich mir die Zeit anzukommen, konzentrierte mich auf meinen Atem und fragte in die Runde, von wo meine Teilnehmer angereist waren. Ich machte mich langsam mit ihren Gesichtern vertraut und hatte so einen wunderbaren Kontakt hergestellt. So hatte ich Zeit, meine Mitte wiederzufinden, und danach lief das Seminar wie am Schnürchen.
  3. Nimm dir Zeit für den Aufbau eines Kontaktes voller Wertschätzung für den anderen.
    In der Beratung können wir uns mit Respekt der Körpersprache des Klienten anpassen und damit eine Brücke zwischen uns und dem anderen bauen. Das erleichtert es uns, einen Zugang zu seiner Weltsicht zu finden. Ziel dabei ist es, einige Schritte in der Welt des anderen mitzugehen und nicht von ihm zu verlangen, die Dinge so zu sehen, wie man sie selbst sieht. Auch dass ich seinen Sprachgebrauch und Tonfall aufnehme, fördert einen guten Kontakt zum Klienten. Milton Erickson sagt: „Sprich die Sprache des Patienten“.
  4. Höre gut zu und nutze Ressourcen frühzeitig, statt in die Problemtrance des Klienten zu schlittern.
    Gute Zuhörer oder empathische Berater sind gefährdet, mit ins Boot des Klienten zu steigen und im Fluss der Probleme mitzupaddeln. Das werden wahrscheinlich viele aus den Anfängen ihrer Beratung kennen. Zu einer guten Beratung gehört immer ein bisschen Abstand beim Zuhören, damit wir genau da den Faden aufnehmen, wo wir den Prozess mit Ressourcen verstärken und in die vom Klienten angestrebte Richtung führen können.
  5. Verwandle die Probleme des Klienten während der Beratung in wohlgeformte Ziele.
    Probleme werden auch als auf den Kopf gestellte Ziele bezeichnet. Wenn der Klient davon spricht, sich mit seinem Unternehmen in einer Sackgasse zu befinden, mag es sinnvoll sein, das Problem zu wiederholen. „Habe ich richtig gehört, sie fühlen sich diesbezüglich in einer Sackgasse?“ Dann hilft es, den Fokus des Klienten zu öffnen, indem wir z. B. eine neue Verkehrsführung anbieten. Die Sackgasse kann in eine Durchgangsstraße umgebaut werden, der Klient wird gedanklich wieder flexibel und erkennt, welche neuen Wege er finden oder wie er die Sackgasse künftig umfahren kann. Ich sage manchmal nur: „Sie möchten also aus der Sackgasse herausfinden und neue Wege gehen.“ Und der Klient antwortet: „Frau Bolz, Sie haben genau den Punkt getroffen.“ Beim Umformulieren von Problemen in Ziele entsteht die Zuversicht, wieder über Wahlmöglichkeiten zu verfügen.
  6. Bewege Wahlmöglichkeiten für den Klienten hin und her, damit die Ziele schon in ihm arbeiten.
    Weiterführende Fragen können so lauten: „Wenn Sie Ihr Unternehmen weniger in der Sackgasse sehen, sondern mehr die neuen Wege betrachten, die neuen Straßen, auf denen das Unternehmen weiterkommt, welche Gedanken kommen Ihnen da? Wo lässt sich z. B. eine Einbahnstraße wieder öffnen, sodass es in beide Richtungen fließt? Und was wird dann möglich?“
  7. Tue das, was gut funktioniert, und mach weniger von dem, was nicht funktioniert.
    Nach meiner Erfahrung profitieren Klienten auch von solchen Fragen: „Was ist Ihnen bisher gut gelungen? Wovon möchten Sie mehr?“ Wir können in der Beratungsstunde mehr von dem anbieten, was die Lage verbessert, und weniger von dem, was die Lage verschlimmert. Damit schulen wir die Wahrnehmung für das, was gelingt. Im Stressmanagement erzähle ich oft eine Geschichte über die gute Mischung von Arbeit und Genuss, in der ich die Teilnehmer frage: „Wovon solltest du mehr tun, um die gute Mischung zu spüren?“ Und noch wichtiger: „Worauf solltest du verzichten? Was solltest du weglassen, um in eine bessere Balance zu kommen?“
  8. Nutze Widerstand und Schwierigkeiten des Klienten, verwandele den Widerstand in Ressourcen.
    Milton Erickson sagt: „Achte darauf, was der Klient tut und sagt, und nutze alles, was geschieht, zu seinen Gunsten.“ Es geht letztendlich darum geschehen zu lassen, was immer geschieht. Erickson nennt es Utilisation. Wir können Dinge, die im Gespräch ablenkend wirken, in etwas verwandeln, das unser Gegenüber unterstützt. So kann ein körperliches Signal, ein Gähnen des Klienten, ein Hinweis sein, dass der Druck in ihm nachlässt und er sich zu entspannen beginnt. Wenn wir spüren, dass der Klient an unserer Methode zweifelt, können wir als Berater betonen, wie sinnvoll gesunder Zweifel sein kann und wie hilfreich es für das Erreichen seines Ziels ist, die Methode gut zu überprüfen. Haben wir einen ungeduldigen Klienten vor uns, der schnell vorankommen möchte, können wir ihn mit folgendem Satz unterstützen: „Wann immer Sie draußen sehen, wie sich jemand beeilt, werden Sie das Bedürfnis verspüren, sich tief nach innen zu orientieren und ein paar wohltuende Atemzüge zu nehmen.“
  9. Finde über Hobbys und Talente gute Metaphern für die Ziele des Klienten und nutze sie.
    Eine Seminarteilnehmerin formulierte als Ziel, ihr Unternehmen mit mehr Leichtigkeit als bisher zu führen. Ich fragte sie nach ihren Hobbys und sie erzählte, wie sehr sie es liebt am Spinnrad zu sitzen und zu fühlen, wie die weichen Wollfäden durch ihre Hand gleiten. Das war wie eine Steilvorlage für eine Metapher zu mehr Leichtigkeit und lädt uns als Berater ein, eine Trance anzubieten: „... und während du spürst, mit welcher Leichtigkeit die Fäden durch deine Hände gleiten, weißt du, du kannst die neue Leichtigkeit für dein Unternehmen wie einen Teppich spinnen ... Faden für Faden gestaltest du diesen neuen Teppich ... Und du kannst den selbst gesponnenen Teppich nutzen zu schweben wie in Tausendundeiner Nacht und neue Perspektiven auf dein Unternehmen zu bekommen ...“
  10. Ändere die Richtung, falls in der Beratung nichts Förderliches passiert.
    Traue dich liebevoll zu provozieren, wenn sich der andere in einer Sackgasse befindet. Bei einem Klienten, der schon länger zu mir kommt, versagten immer wieder meine Gesprächsmethoden. Was tun? Dieser Klient sagte oft: „Frau Bolz, das weiß ich doch alles, keiner kann mir helfen. Ich habe schon so viel gemacht. Ich will den Schalter finden. Doch mir kann keiner helfen!“ In der letzten Beratungsstunde war ich kurz davor, ihm zuzustimmen, und mir kam die Idee, den provokativen Ansatz zu nutzen.
    Ab sofort bestätigte ich alle seine Verallgemeinerungen: „Genau Herr X, bei Ihnen ist wirklich nichts mehr zu machen. Alle Fische scheitern in Beziehungen (er spricht häufig von Sternzeichen, z. B. von sich als „Fisch“), Fischen kann keiner helfen, sie sind viel zu fischig und glitschen immer weg.“ Er schaute mich entgeistert an und meinte: „Dann bin ich also ein hoffnungsloser Fall?“ „Ja genau“, sagte ich, liebevoll: „Sie sind wirklich ein hoffnungsloser Fall.“ Und so – liebevoll, humorvoll – ging es weiter. Mein Klient war zunehmend verwirrt, vermutlich spürte er diesen Widerspruch zwischen meinen Worten und meiner Haltung. Und an seiner Mimik sah ich, dass es kräftig in ihm arbeitete. Etwas stimmte plötzlich einfach nicht mehr für ihn. Und nach und nach wurde sichtbar, wie sein ganzer Körper sich mehr und mehr entspannte und erfrischte. Am Ende der Stunde sagte er: „Also, das war sehr belebend!“

Beitrag von Judith Bolz
in der Zeitschrift "Praxis Kommunikation 01 | 2018"

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